Im 3. Teil der Serie über Low Carb High Fat bei Typ 1 Diabetes (die anderen beiden Texte sind bei Interesse in der Seitenleiste rechts verlinkt) erläutert Stefan, warum er trotz der eindeutigen Verbesserungen seines Blutzuckerverlaufs dennoch kein Vollblut-LCHFler ist.
Ich weiß bereits durch persönliche Nachfragen, dass dieses Thema einige Leser brennend interessiert, daher ziehe ich mich umgehend zurück und überlasse Stefan das Wort.
Warum ich als Typ 1 Diabetiker nicht konsequent LCHF esse
Nach dem Urlaub habe ich recht schnell wieder in die richtige Spur zurück gefunden und mich noch eine Weile weitgehend nach LCHF ernährt.
Irgendwann hat sich aber wieder der Schlendrian eingeschlichen. Warum?
Nun, ein Grund dafür war, dass ich es nicht so recht auf die Reihe bekommen habe, meine Frau mit ins Boot zu holen und mit ihr gemeinsam eine Strategie zu entwickeln. In der Woche ist meistens meine Frau fürs Essen zuständig, am Wochenende und für Specials ich. Erschwerend kam hinzu, dass meine Frau durch den schweren Krankheitsfall in der Familie kaum einen Kopf für meine Ernährungsumstellung hatte. So haben wir nebeneinander her gewurschtelt statt an einem Strang zu ziehen. Ist doch im Grunde gar nicht so schwer bei LCHF.
Ein weiterer Grund war, dass es natürlich immer etwas mehr Mühe macht, sich an die Prinzipien von LCHF zu halten, also Speisen frisch zuzubereiten statt Fertiggerichte zu nehmen, Speisen vorbereiten zu müssen, öfter mal einkaufen zu gehen, weil es ja viel Frisches geben soll. Diese zusätzliche Mühe war angesichts der damaligen Situation, die aufgrund des erwähnten Krankheitsfalles besonders belastend war, irgendwann zu viel. Das versteht man als Unbeteiligter jetzt vielleicht nicht unbedingt, aber rückblickend war es schon so, dass wir versucht haben alles von uns fernzuhalten, was uns zusätzlich Kraft gekostet hat.
Machen wir uns nichts vor, es erfordert eine erhebliche Anstrengung und eine ordentliche Portion Konsequenz und Disziplin seine Ernährung umzustellen.
Die alten Gewohnheiten sind oft sehr eingefahren. Bei LCHF kommt noch hinzu, dass man ja bestrebt ist, in die Ketose zu kommen und damit umso konsequenter sein muss.
Eine Ernährungsform soll mich nicht unter Druck setzen
Ich habe mit der Zeit festgestellt, dass mich das Streben nach einem stabilen ketogenen Stoffwechsel teilweise gestresst hat. Wissend, wie schwer und langwierig die Umstellung sein kann, und wissend, wie schnell man sich durch Einnahme von KH und evtl. anschließend notwendiger Insulinierung aus der Ketose schießt, wurde jede Sportvorbereitung zur Gewissensfrage. Insbesondere das Timing von Mahlzeiten, Insulininjektion und Sport schränkte mich ein, weil es nicht immer in den familiären Ablaufplan passte, wenn ich versuchte das Essen statt mit einer Insulininjektion weitgehend durch Sport zu verstoffwechseln, um die Ketose nicht zu unterbrechen.
Auch Fragen wie „Steige ich tatsächlich mit 100 mg/dl in den 10 km Lauf ein?“. Nein, aber wie hebe ich auf die Schnelle meinen BZ an ohne KH? Was mache ich bei Einladungen, bei Dienstreisen oder auch zu Hause in meiner eigenen Küche mit Gerichten auf KH-Basis, die ich zeitlebens geliebt habe? Gehe ich für die Ketose so weit und verzichte auf alles, mache ich mich gar bei Einladungen bewusst zum Außenseiter, der auf „alles“ verzichtet? Habe ich immer Lust zu erklären wieso, weshalb, warum? Mich zu wehren gegen die Retter, die mich befreien müssen von dieser ungesunden fettreichen Ernährung. Diskussionen ohne Ende. Manchmal, wenn ich mal wieder erklären musste wieso, weshalb, warum, kam ich mir vor als hätte ich grüne Punkte im Gesicht.
Und ehrlich gesagt, gelegentlich so ein Bierchen oder eine leckere Pasta, Bruschetta oder Kartoffelgerichte finde ich auch nicht übel.
Mein persönliches Fazit
Am Ende habe ich mir dann die Frage gestellt, warum ich eigentlich unbedingt in den ketogenen Stoffwechsel möchte. Eigentlich war es nur ein faszinierender Versuch. Eine Erkrankung, die das unbedingt erfordern würde, liegt bei mir nicht vor. Also habe ich mich entschlossen, die Ketose vorerst nicht als mein Ziel anzusehen. Ich habe mich damit des Zwangs entledigt, unter allen Umständen oben angeführte Einschränkungen zu berücksichtigen. Man kann auch Low Carb leben, muss aber nicht ketogen leben.
Das heißt nicht, dass ich das Thema Ketose nicht mehr für ein sehr hilfreiches Instrument halten würde. Ich fand es unter den Umständen aber recht aufwendig einzuhalten, so dass ich mir die Frage stellen musste, ob es Sinn macht.
Die kohlenhydratarme Ernährung ist für mich nach wie vor ein hervorragendes Hilfsmittel beim Blutzuckermanagement. So oft ich kann ernähre ich mich Low Carb, sehr oft auch nach LCHF Regeln und erfreue mich der positiven Einflüsse auf meinen Blutzucker.
Und wann immer ich Lust auf ein Bier habe oder auf eine gute Pasta oder ein leckeres Brötchen oder was auch immer, dann genieße ich es. Das kommt wegen der entsprechenden Motivation und dem Wissen um die Zusammenhänge aber nicht so oft vor.
Ich muss mir auf Dienstreisen keine Gedanken machen, wo ich geeignete Nahrungsmittel finde, und muss kein Glas Sekt zum Empfang ablehnen. Ich muss keine Angst haben, mich mit der Einnahme von Puffer-Kohlenhydraten vor dem Sport eventuell aus der Ketose zu schießen.
Liberales Low Carb ist mein persönlicher Weg
Das ist der Grund, weshalb ich nicht konsequent LCHF esse. Alles in allem ist mein liberales Low Carb für mich, und ich betone „für mich“, momentan der Weg, der einen guten Kompromiss zwischen einer empfohlenen Ernährung nach DGE und einer ketogenen Ernährung darstellt.
Ernährung ist eine sehr individuelle Sache und ich finde es wichtig, dass man den Weg findet, den man in seiner Situation gehen kann.
Ich kann jeden, der sich dafür interessiert, nur motivieren LCHF zu probieren.
Ich denke, es lohnt sich.
Lieber Stefan,
vielen Dank für diese sensationelle Serie. Das ist sehr interessant und aufschlussreich.
Und ich gebe dir vollständig Recht: Ernährung ist eine absolut individuelle Sache! Einer meiner liebsten und gern verwendeten Sprüche ist:
Deine Ernährung muss zu dir passen, nicht du zu deiner Ernährung!
Ich wünsche dir alles Liebe und bin mir ziemlich sicher, dass wir in Kontakt bleiben werden.
Annika

Stefan lebt mit Typ 1 Diabetes und berichtet in einer dreiteiligen Serie von seinen Erfahrungen mit LCHF. Seinen Bericht unterstreicht er zusätzlich hoch eindrucksvoll durch genaue Graphiken seines Blutzuckerverlaufs.