Kennen Sie das? Sie wachen gut gelaunt auf, die Sonne scheint durchs Fenster, Sie schwingen die Beine aus dem Bett und wollen hochmotiviert in den Tag starten. Womöglich trällern Sie ihrem Lieblingsmenschen noch ein überschwängliches „Guten Morgen Schaaatz“ entgegen, sodass der sich verwundert die Augen reibt. Keine 60 Sekunden später, ein Knurren aus dem Bad. Ihre Laune am Nullpunkt. Absturz aus 100 m Höhe. Mindestens. WAS ist passiert?
Sie ahnen es schon. Die Waage ist schuld. Unser aller Freund oder Feind. Je nachdem. Die Gefühle sind wechselhaft. Dabei könnte doch alles so einfach sein. Wir erwarten doch keine Wunder von der Waage. Sie soll einfach nur das anzeigen, was wir uns so vorgestellt haben. Oder nicht? Berechtigte Frage.
Die Waage ist, (jaja, sofern die Batterien voll sind und der Standort der Richtige ist [Sie glauben gar nicht, WIE wichtig die einzig wahre Position für eine Waage ist! Da können mitunter 200 g dran hängen, ob die Waage richtig steht]) eigentlich ein recht unbestechliches Instrument. Es zeigt im Normalfall das an, was der Wahrheit entspricht. Tja nun, und da fängt es an kniffelig zu werden.
Denn selbst wenn die Waage wirklich die Wahrheit anzeigt – sind wir am frühen Morgen bereit dafür? Ich kann Ihnen sagen: ich war es lange Zeit nicht!
Wenn die Waage die Laune beherrscht
Das, was sich eingangs scherzhaft liest, war für mich lange Zeit bittere Realität. Die Waage beherrschte meine Laune. Traurig aber wahr.
Eine Zahl, die ich nicht erwartet hatte, konnte mich den ganzen Tag beschäftigen und runterziehen. Das ein oder andere Mal war sie auch der Grund, eine „Diät“ wieder abzubrechen. „Bringt doch eh nichts“, flüsterte die leise Stimme in meinem Kopf mit jedem Mal lauter. „Haste doch heut Morgen wieder gesehen. Soviel Anstrengung und was passiert? Nimmst sogar wieder zu!“
Mit meiner Waage verband mich lange eine Hassliebe (mehr Hass als Liebe).
Bis ich merkte, dass es so nicht weitergehen kann. Zu oft schon war sie mir in meinen unzähligen Abnehmversuchen zum Stolperstein geworden.
Dann kam ich zu LCHF und lernte im Forum viele Menschen kennen, die ebenfalls Probleme mit der „Diva“, wie sie von einigen gern genannt wird (es gibt noch gaaanz andere Bezeichnungen für die Waage, aber die erspare ich Ihnen an dieser Stelle. Ok, einen noch: Wieg-and! Männlich! Sehr schön…), haben. Und ich stellte fest, dass ich nicht die einzige bin, für die die Waage schon zum Stolperstein geworden ist.
Grund genug einmal der Frage nachzugehen, ob es überhaupt rechtens ist, dass der „Wieg-and“ so viel Macht über uns hat!
Die Waage als ein Maßstab unter vielen
Natürlich ist die Waage ein gutes und sinnvolles Instrument, wenn wir etwas über unser Gewicht herausfinden wollen. Kein Thema soweit. Das eigentliche Problem beginnt mit dem Ergebnis, das wir dort sehen. Denn die Bewertung der Zahlen ist nicht immer ganz einfach.
Ist es z.B. immer nur Fett, was sich als Zunahme auf der Waage niederschlägt? Und sagt die Zahl auf der Waage etwas über meine Kleidergröße und meine Silhouette, also meinen Umfang, aus? Natürlich nicht! Beeindruckt uns die Zahl deshalb weniger? Nein!
Was können wir also tun? Welche Möglichkeiten haben wir, dass die Waage, wenn schon nicht Freund aber dann doch wenigstens nicht mehr Feind ist?
Mein Umdenken begann, als ich im Forum lernte, dass die Waage zwar ein respektables Mittel ist, um Veränderungen zu dokumentieren, aber nicht das einzige und vielleicht noch nicht einmal das wichtigste!
Das geheimnisvolle Maßband-Phänomen
Da wäre in erster Linie das Maßband. Es ist unter LCHFlern ein bekanntes Phänomen, dass sich rein gewichtsmäßig nichts tut, aber der Umfang z.B. an Bauch/Taille etc. trotzdem kleiner wird. Erstaunlich, nicht?
Ich habe, trotz eingehender Suche, keine passable Erklärung dafür gefunden, und dennoch haben es schon unzählige LCHFler am eigenen Leib erlebt und beschrieben! Haben Sie vielleicht eine Erklärung dafür? Dann lassen Sie sie uns bitte, bitte wissen! Senden Sie uns einfach über das Kontaktformular auf dieser Website, oben rechts, eine Nachricht. Ich bin sehr gespannt, vielleicht kommen wir ja gemeinsam dem Rätsel auf die Spur!
Sie wissen gar nicht, wie viel cm Umfang Ihr Bauch, ihre Taille, ihre Arme und Beine haben? Dann sollten Sie das noch heute nachmessen und sorgfältig notieren! Sie könnten sich z.B. einmal im Monat vermessen und die Ergebnisse vergleichen. Bei mir sorgt es regelmäßig für richtig gute Laune wenn ich die schwindenden Umfänge beobachte!
Kleidung, dabei natürlich insbesondere Gürtel, sind ebenfalls ein tolles Messinstrument. Was gibt es schöneres als wenn Hosen anfangen zu rutschen? Viele Jahre hab ich es immer nur umgekehrt erlebt, irgendwann fingen sie alle an zu kneifen…

Bild: Anne Paschmann
Die Sache mit dem Wasser…
Ein weiterer Meilenschritt auf meinem Weg, die Waage als Verbündete und nicht als böse Gegenspielerin zu sehen, war, als ich endlich akzeptiert habe, dass nicht immer nur mein Essverhalten die Zahl auf der Waage beeinflusst. Sondern viel, viel mehr. Stichwort Wassereinlagerung.
Als Frau hat man es da besonders schwer, denn über einen langen Zeitraum unseres Lebens plagen sich viele von uns mit hormonell bedingten Wassereinlagerungen herum. Als wäre das noch nicht genug, leiden viele auch noch unter anderen Symptomen eines ausgeprägten PMS (prämenstruelles Syndrom. Nebenbei bemerkt kann LCHF Ihnen helfen, die Symptome von PMS deutlich zu verringern). Damit einher gehen oft Stimmungsschwankungen, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, … .
… und was sich sonst noch auf der Waage niederschlagen kann
Und was verursacht das? Klar – Stress! Und was passiert bei Stress auf der Waage? Bestenfalls nichts, meist aber wohl eine Zunahme.
Auch (Schmerz)Medikamente, und da ist freilich auch die Männerwelt nicht von ausgenommen, können eine Zunahme in Form von Wasser bescheren.
Jede Erkältung, jeder Infekt (insbesondere auch Magen-Darm Geschichten) sorgt bei mir dafür, dass sich auf der Waage nichts tut; Schlafmangel ebenfalls.
Besonders häufig las ich auch von Wassereinlagerungen nach Restaurantbesuchen, da tippen viele auf Geschmacksverstärker oder zu stark gesalzenes Essen.
Ein „zu viel“ an Kohlenhydraten (KH) in der Ernährung füllt übrigens auch die Wasserdepots, denn Kohlenhydrate binden Wasser.
Die gute Nachricht ist: Wasser ist nie eine echte Zunahme!
Wenn über Nacht 1-2 kg mehr auf der Waage sind, dann kann das kein Fett sein. Überlegen Sie mal: Sie müssten über 7.000 kcal über ihrem Bedarf zu sich nehmen um 1 kg Fett zuzunehmen!
Heißt im Normalfall, Sie müssten am Tag rund 9.000 kcal gegessen haben, um innerhalb 24 Stunden 1 kg mehr Fett auf die Waage zu bringen. Ich kann Ihnen versichern: 9.000 kcal zu essen, das passiert nicht mal eben so nebenbei! Das Wasser aber, das kommt mal eben so nebenbei. In aller Regel verlässt es uns auch nach ein paar Tagen wieder und ein neuer Tiefstand wird sichtbar. Entspannung!
Was ist mit meinen Muskeln?
Sie sind nach Ihrer Ernährungsumstellung von der Couch-Potato zum Top-Athleten mutiert? Dann haben Sie vielleicht auch schon das Argument gehört, dass eine Gewichtssteigerung dem Muskelzuwachs geschuldet ist?
Nun, ich muss Sie enttäuschen. So schön der Gedanke ist, so reden wir bei intensivstem Muskelaufbau dennoch nur über 0,5 kg pro Monat bei Frauen und 1 kg bei Männern. Und das auch nur in den ersten 12 Monaten, danach noch weniger. Außerdem schwindet im Idealfall ja Körperfett, sodass sich das Ganze in etwa ausgleichen sollte.
Trotzdem kann Muskeltraining ein Plus auf der Waage bedeuten. Das liegt ganz einfach daran, dass nach intensivem (Kraft)Sport die Muskeln kurzfristig Wasser einlagern. Ein weiterer Grund, das Verhältnis zur Waage grundlegend zu überdenken.
Und wenn es doch Fett ist?
Ganz anders kann es denen gehen, die eigentlich gar nicht so genau wissen, welche Mengen sie so konsumieren. Was, wenn auch das Maßband schweigt und selbst die neue Lieblingshose etwas zwickt? Kann ja mal passieren, oder? Sie wähnen sich aber in Sicherheit, weil sie ja „konform“ und, so grob über den Daumen gepeilt, ganz bestimmt auch nicht zu viel essen?
Hm. Dann könnte es halt doch sein, dass die Waage die Wahrheit sagt und es eben kein Wasser ist.
Leider sind die allermeisten von uns nicht besonders gut im Schätzen. Im Ernst, schätzen Sie mal ihre Portionsgröße bevor Sie sie abwiegen. Wetten, dass Sie in ihrer Schätzung um mindestens 20% danebenliegen? Bei Nüssen passiert mir das regelmäßig. Geschätzt höchstens 20 g – in Wahrheit mal eben das Doppelte. Und somit auch das doppelte an Kalorien.
LCHF ist toll – aber kein Zaubermittel!
Und damit kommen wir zu einer physikalischen Gesetzmäßigkeit, die leider auch von LCHF nicht ausgehebelt werden kann.
So doof es ist, aber man kann auch mit LCHF und in Ketose (die meisten LCHFler sind wohl überwiegend in Ketose) zunehmen. Grade, wenn massiv „aufgefettet“ wird, ist die Gefahr groß, doch einen ordentlichen Kalorienüberschuss zu haben.
Besonders riskant ist da meiner Meinung nach der allseits beliebte Bulletproofcoffee, kurz BPC. Hier wird Kaffee oder Tee mit Fett gemixt, das Fett emulgiert und das ganze ergibt eine Art „Milchkaffee“. Aber – so ein harmlos aussehender Pott Kaffee mit 30 g Fett kommt dann mal eben auf stolze 280 kcal! Ganz schön viel für ein Getränk, wenn es neben einer Mahlzeit getrunken wird.
Nebenbei bemerkt: ich trinke den BPC richtig gern, aber ich habe ihn auch in meiner täglichen Kalorienbilanz einkalkuliert.
Denn unterm Strich passiert auch bei LCHF genau das, was bei anderen Ernährungsformen auch der Fall ist: Essen wir mehr als wir verbrauchen, nehmen wir zu. Punkt. Bleibt der Trost, dass wir mit LCHF wenigstens gesünder zunehmen
ABER so weit muss es ja nicht kommen!
Abhilfe kann eine gute Planung, z.B. über ein Ernährungstagebuch, schaffen; oder auch das Führen eines Tagebuchs im geschützten Mitgliederbereich des Forums. Dort finden sich immer ein paar „alte Hasen“, die mit Sachverstand und Herz hier und da auf Fehlerquellen aufmerksam machen. Und wie sagt Annika immer so gern: Wer notiert verliert – Gewicht!
Fassen wir also zusammen
Wasser kann ein Grund für eine unerwartete Zunahme sein. UND die Waage sollte nicht das letzte Wort haben. Wenn wir unser Essen kontrollieren und wissen, dass wir nicht zu viel gegessen haben, dann verliert die Zahl auf der Waage immer mehr an Bedeutung. Andererseits kann uns die Waage dazu bringen, nochmal einen kritischeren Blick auf Zusammensetzung und Menge unserer Mahlzeiten (inkl. Zwischenmahlzeiten!) zu werfen und ggf. anzupassen.
Für mich haben diese rein rationalen Überlegungen dazu beigetragen, mein Verhältnis zur Waage deutlich zu entspannen.
Ein paar Gedanken zum Schluss
Es gibt da noch einen Aspekt, der mich immer wieder beflügelt hat. Und das waren Komplimente von anderen in Bezug auf meine Gewichtsabnahme. Anfangs tat ich mich schwer damit, die Komplimente anzunehmen. Auch heute ist es mir immer wieder mal noch unangenehm. Aber liebe Worte und ehrliche Bewunderung kann man quasi auf Vorrat bunkern und in trüben Momenten hervorholen. So wurde manches Waage-Desaster erträglicher!
(Ach übrigens, leicht off-topic, aber haben Sie heute schon jemandem ein Kompliment gemacht? Das tut sooo gut, probieren Sie es aus!)
Last but not least – je mehr Gewicht man abgeworfen hat, umso entspannter kann man mit der Waage umgehen. Ich hörte im Zusammenhang mit LCHF von einer beeindruckenden jungen Frau, die sich bei einem Ausgangsgewicht von knapp 200 kg mehr als halbiert hatte, dass sie Schwankungen von +/- 5 kg nicht weiter beeindrucken. Enorm, oder?
Wie ist es bei Ihnen? Lieben Sie ihre Waage oder haben Sie das ein oder andere Mal das Bedürfnis sie aus dem Fenster zu schmeißen?
Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass vielleicht der ein oder andere oben genannte Punkt zu Entspannung im Umgang mit der Waage führt! Denn eins ist sicher – je entspannter wir unser Projekt „Gewichtsverlust“ angehen, umso schneller kommen wir ans Ziel!

Anne is(s)t seit Mai 2015 LCHF – jedenfalls ist sie seitdem unter dem Namen „Kap“ im LCHF-Forum angemeldet und eins unserer wertvollen Forenmitglieder, die sich tagtäglich gegenseitig liebevoll unterstützen und das Forum gemeinsam zu einem Ort machen, an dem man sich gerne aufhält. Seit November 2016 ist sie sogar als Moderatorin im Forum an unserer Seite.
Anne kann darüber hinaus wundervoll schreiben, ihre Gedanken auffällig klar und mit Herz auf Papier bzw. die Webseite bringen und unterstützt LCHF.de mit ihren interessanten Texten.
Mit mir zusammen hat sie die LCHFpur Kochbuchserie veröffentlicht.
Annes Webseite: