Kaffee mit meiner Freundin

Ich kenne kein Café, das eine gemütlichere und einladendere Atmosphäre ausstrahlt als das legendäre „Café Privat“ im Städtchen. Der kräftige, fast schokoladige Geruch von gut geröstetem und frisch gebrühtem Kaffee und auserlesenen Backwaren füllt die Luft, als ich mit meiner Freundin eintrete. Nordisch minimalistisch und kühl eingerichtet, gleichzeitig dank geschickt gesetzter Akzente unbeschreiblich gemütlich und persönlich. Gut platzierte, flackernde Kerzen, die zusammen mit dem eher weichen Licht eine fast einzigartige und intime Stimmung schaffen.

Ein gedämpftes, beruhigendes Stimmendurcheinander umflirrt die Ohren, zart durchzogen von dem Geräusch rührender Löffel in Tassen, bisweilen kurz zerrissen vom zischenden Geräusch der Espressomaschine bei der Barista hinter dem Tresen. Ab und zu hopst ein kleines Lachen durch die Luft.

Wir ergattern einen Platz in unserer Lieblingsnische und kurz nach der Bestellung wärmen wir schon unsere Hände an den heißen Kaffeetassen, meine Freundin und ich. Wundervoll, dass wir mal wieder Zeit für einander gefunden haben, die letzten Monate kamen wir nicht dazu. Jede hat halt ihre Termine, diverse Verpflichtungen und ein Stück weit ein ganz eigenes Leben. Umso schöner, dass wir uns nun in Ruhe einen „Abriss“ dessen geben können, was uns in den vergangenen Wochen umgetrieben hat.

Kaffee mit meiner Freundin

Strahlend erzählt sie, dass sie sich auf eine neue Stelle beworben hat.

Gute Konditionen, wenig Anfahrtsweg und alles in allem eine ganz neue Herausforderung und spannende Aufgaben. Ihre Stimme überschlägt sich fast, als sie mir die Details brühwarm darlegt. Nächste Woche geht es zum Vorstellungsgespräch!

Gedankenverloren rühre ich meinen Kaffee in der Tasse kalt.

„Wow, das sind ja große Neuigkeiten, ich gratuliere dir. Stark, dass du dich getraut hast, dich auf eine Stelle zu bewerben, die deutlich über deiner persönlichen Kompetenz liegt. Das ist sehr mutig! Aber da kann man ja reinwachsen, dafür gibt es zahlreiche Schulungen. Musst du dich eben mal zusammenreißen und dich  durchbeißen. Wird wohl erst einmal ziemlich hart für dich, denn wir wissen ja, wie schwer du dich mit dem Lernen und Auffassen neuer Sachverhalte tust.“

Ich mache eine kurze Denkpause, mein Mittelfinger kratzt gedankenverloren meinen Zeigefinger. Ich drehe meinen Silberring einige Male, bevor ich weiterspreche.

„Vielleicht gibt es ja auch spezielle Fortbildungen für Menschen wie dich, die langsamer denken und so chaotisch veranlagt sind wie du. Ach sag mal, hat man dich eigentlich jemals auf ADHS oder auf sowas wie Dyslexie getestet? ADHS haben ja jetzt viele – sehe ich immer wieder in Reels auf Instagram.“

Sie schüttelt langsam den Kopf.

„Nicht? Hm. Ja, deine Eltern waren jetzt nicht so engagiert in ihrer Erziehung, kannst unter diesen Bedingungen echt stolz sein, dass du es überhaupt bis hierher geschafft hast. Außerdem ist es bestimmt eine wichtige Erfahrung, mal ein Stück höher zu den Sternen zu greifen als immer nur im Bodensatz zu stehen. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, oder? Viel zu verlieren hast du eher nicht. Im Zweifel schaffst du halt die Probezeit nicht. In deinem bisherigen, eher simplen Job findest du garantiert immer was, gibt es ja wie Sand am Meer – da gehst du kein großes Risiko ein.“ Leise trommele ich, um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, auf dem Tisch herum. Sie muss das doch selbst sehen?

Schrappend schiebt sie ihren Stuhl resolut nach hinten. „Ich muss mal eben aufs Klo!“ Prima, die Blase hat sie wenigstens im Griff, im Gegensatz zu ihrem Leben. Ich seufze augenrollend nach innen und sehe ihr zu, wie sie sich durchs Café zur Toilette durchschlängelt. 

Nach einer gefühlten Ewigkeit kehrt sie zurück.

Ich seh ihr zu, wie sie sich wieder auf ihrem Stuhl in Position bringt.

Ich flüstere: „Du, übrigens, diese Hose würde ich zum Vorstellungsgespräch wirklich nicht anziehen. Um es mit Guido zu sagen: ‚Die tut gar nichts für dich!‘ Die sitzt viel zu eng, da wabert es oben raus. Muffintop nennt man das, wusstest du das? Naja, besser Muffintop als Cameltoe!“ Ich werfe meinen Kopf in den Nacken und lache glucksend – man, bin ich witzig!

Sie lacht nicht. Ihre Augen sind wässrig. Boah, nö, die fängt ja wohl jetzt nicht an zu flennen vor all den Leuten hier.

Beschwichtigend lege ich meine Hände auf ihre: „Nein, hej, nicht weinen, das meine ich echt nur gut. Will ja nicht, dass du unangenehm auffällst. Du hast nur eine Chance auf den ersten Eindruck und die sollst du auch im Rahmen deiner Möglichkeiten maximal nutzen!“

Ich umfasse ihre Hände, die sind ganz feucht – gebe mir Mühe sie strahlend anzulächeln. „Ich hab ne phänomenale Idee! Sollen wir zusammen etwas Gescheites shoppen gehen? Etwas, in dem du richtig Staat machst bei dem Termin? Oder generell? Deine Garderobe könnte definitiv ein Update brauchen!“

Augenzwinkernd ergänze ich: „Vor allem wäre es höchste Zeit für einen wirklich gut sitzenden BH. Dann wird es vielleicht auch mal was mit einem Partner!“

Na, was denkst du?

Ich bin mir sicher, dass du mich gerade RICHTIG scheiße findest, weil ich mich auf diese Weise verhalten habe. Meine Freundin bis ins Mark niedergemacht hab, beleidigt und gedemütigt. Das macht man nicht und schon gar nicht mit Menschen, die einem nahestehen!

Oh, du hast völlig Recht.

Und ich sag dir was: Das hab ich gar nicht gemacht. Das würde ich nie tun. Niemals würde ich die Gefühle meiner Freundin so verletzen.

Mit einer Ausnahme. Es gibt eine Freundin in meinem Leben, bei der ich kein Blatt vor den Mund nehme, sie nicht schone und ihr alles Bösartige ins Gesicht haue, bis sie emotional „so klein mit Hut“ gematscht ist. Der ich wenig zutraue, daher macht es wenig Sinn, ihr liebevoll Hoffnung und Mut zu schenken.

Ich rede von meiner allerbesten Freundin, der wichtigsten in meinem Leben – mit niemand anderem würde ich derartig umgehen.

Und meine allerbeste Freundin bin ICH SELBST.

Draufsicht!

Ja, natürlich war der Text in weiten Teilen überspitzt formuliert. Eine geballte Ladung an negativen Beispielen, wie man auf sich selbst sehen und mit abartiger Härte mit sich selbst ins Gericht gehen kann. Mein Text sollte dich möglichst „kalt erwischen“. Denn ich weiß, dass ich mit diesem Problem alles andere als allein dastehe.

Zeit für eine Veränderung – ich werde lernen, mit mir gut umzugehen. So wertschätzend, dankbar und liebevoll, wie ich es auch mit anderen tu.

Denn wer in meinem Leben hätte das mehr von mir verdient als ich selbst?

Niemand.

Annika Quadratisch SW

Annika Rask (die Autorin), Sudda (die Bloggerin), Annika Brettfeld-Rask (die Betreiberin dieser Seite) – alles ich.

Seit 2009 lebe ich LCHF. Zunächst „nur“ als Ernährung, nach und nach wurde es immer mehr zu einer wesentlichen Facette meines Lebens. Seit 2015 bin ich stolze Besitzerin dieser Webseite, wofür ich ihrer Begründerin Nicole Wirth unendlich dankbar bin.

Du möchstest persönlich etwas loswerden oder hast eine Frage? Schreib mich einfach über das Kontaktfeld an.

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